Der Einfluss des Geschlechts auf Gesundheit und Krankheit: Die Thematik ist nicht neu. Gesellschaftlich und politisch ist sie aber hochaktuell und birgt grosses Potenzial für Forschung, Kommunikation und das Gesundheitswesen insgesamt.

Fakt ist: Viele Jahre lang wurden biologische Unterschiede zwischen Frauen und Männern in der Medizin ignoriert. Für Diagnosen, Behandlungen und die Entwicklung von Therapien galt der Mann als «Standardmensch» ohne Beachtung der körperlichen, hormonellen oder stoffwechselbedingten Merkmale von Frauen. Auch die Unterscheidung von biologischem Geschlecht und Gender als soziokulturellem Faktor wird in der Medizin noch kaum umgesetzt. Das führt noch immer zu Fehldiagnosen, unpassenden Behandlungen oder zu Nebenwirkungen von Medikamenten bei Patientinnen.

Die Gendermedizin hat zum Ziel, die gender- und geschlechtsspezifischen Unterschiede zwischen Frau und Mann sowohl in der Forschung als auch in der klinischen Betreuung zu berücksichtigen. Dies ermöglicht zielgerichtetere Diagnosen, individualisiertere Behandlungen sowie besser verträgliche Medikamente für alle. Erst zwei Prozent der weltweiten Forschungsgelder fliessen in die Erforschung der Frauengesundheit. Wissenschaftliche Erkenntnisse werden in der Praxis noch zu wenig umgesetzt und benötigen lange, um den Weg in ärztliche Leitlinien zu finden.

Auf gesellschaftlicher Ebene hat die Gendermedizin eine grosse Bedeutung, insbesondere im Bereich von Public Health. Das neu gewonnene spezifische Wissen kommt nicht nur dem weiblichen Teil der Bevölkerung zugute. Vielmehr muss sich auch die Lehre und fachliche Weiterbildung dem Thema widmen, damit kommende Generationen von Gesundheitsfachleuten sich auf selbstverständliche Art und Weise in einer gleichgestellten Ärzt:innen-Patient:innen-Kommunikation engagieren. Auch digitale Tools können die Bemühungen unterstützen, einen gleichberechtigten Zugang zur Gesundheitsversorgung für Mann und Frau sowie für nonbinäre Personen sicherzustellen. Ein hoch gestecktes Ziel hierzu wäre ein Gender-Mainstreaming-Ansatz in unserem Gesundheitssystem.